Gemeindeleiter und Sonntagschristen

Gemeindeleiter oder Hirte?

Viele Leiter tragen den Titel eines Hirten, auch Pastor genannt, oder eines Ältesten. Umgangssprachlich werden sie aber als Gemeindeleiter bezeichnet, weil sie das auch sind.

„Gemeindeleiter“ ist ein Amt, das es in der Bibel nicht gibt. Ein Gemeindeleiter kümmert sich um die Gemeinde, für das restliche Leben hat er nicht viel zusagen. Ein Gemeindeleiter verhält sich damit zu einem neutestamentlichen Ältesten wie ein Sonntagschrist zu einem neutestamentlichen Christen. Wobei ich nicht sagen will, dass die Gemeindeleiter persönlich ein unchristliches Leben führen, aber es hat eben unter der Woche keine Auswirkungen auf das Leben ihrer Schafe. Auch die Schafe leben unter der Woche zum Teil ein durchaus christliches Leben, aber sie erhalten in der Gemeinde wenig Anleitung dafür

Frauenfragen

So ziemlich jede Gemeinde hat ihr Verständnis von 1. Ko 14, 34:

[…]„sollen die Frauen in den Gemeinden schweigen, denn es wird ihnen nicht erlaubt, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.“

Die einen verstehen die Stelle so, und die anderen anders. Vieles in den Positionspapieren zu den Frauenfragen klingt für mich wie „lass mich dir sagen, was das bedeutet“, lange, sonderbare Begründungen. Das fängt schon damit an, dass der nächste Vers

„wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie daheim ihre eigenen Männer fragen; denn es ist schändlich für eine Frau, in der Gemeinde zu reden.“

gar nicht beachtet wird, oder nur zur Auslegung des vorhergehenden verwendet wird. Ja, Männer hätten eine Aufgabe, und ja, Christen haben Hausaufgaben, Aufgaben, die sie in ihren Häusern erledigen sollten. Und nein, da steht nicht, dass die Frauen nach dem Gottesdienst ihre Seelsorger fragen sollten.

Die zwei Stellen zu häuslichen Arbeiten, 1. Tim 5, 14:

„Ich will nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, Haushaltung führen, dem Widersacher keinen Anlass geben der Schmähung halber;“

und Tit 2, 4+5:

[…]„damit sie die jungen Frauen unterweisen, ihre Männer zu lieben, ihre Kinder zu lieben,

besonnen, keusch, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, gütig, den eigenen Männern unterwürfig zu sein, auf dass das Wort Gottes nicht verlästert werde.“

werden in der Regel gar nicht beachtet. Die meisten christlichen Frauen werden den Haushalt führen, viele sicherlich gut; ich will nicht sagen, dass ich es besser machen würde, ganz sicher nicht. Es gibt sicher auch Frauen, die ihre Männer fragen, und befriedigende Antworten bekommen. Aber die Tatsache, dass die Stellen nicht beachtet werden, zeigt, dass es da einen Perspektivenfehler gibt: Da wird das Christenleben unter der Woche, im Haus, gar nicht beachtet. In diesem Sinn werden die Gläubigen nicht zum Christ sein angeleitet, sondern zum Sonntags-Christentum. Es spielt dabei übrigens keine Rolle, ob es sich um eine „moderne“ oder „konservative“ Gruppe handelt, ob sie Frauen das Predigen erlauben, oder Hosen verbieten: Zu Hause Fragen stellen und den Haushalt führen sind Themen, die bei den einen wie den anderen nicht vorkommen.

Was mir gerade auffällt: Da steht einmal „Schmähung“, und einmal „verlästert“. Damit steht in der Bibel ganz klar, dass die Glaubwürdigkeit von Christen von der Haushaltsführung der Frauen abhängt. Was wird da nicht über Evangelisationskonzepte nachgedacht, aber die Glaubwürdigkeit im eigenen Haus beachtet man nicht. Das mit der „Schmähung“ ist dabei so eine Sache, Hausarbeit von Frauen genießt heutzutage kein hohes Ansehen – zumindest einmal offiziell. Wenn die Frauen die Stellen ernst nehmen würden, dann würden sie Koch- und Nähkurse belegen, und dann eben auch gestalten; die Bibel spricht von einer tüchtigen Hausfrau, nicht von einer tüchtigen Putzfrau – und das würde, denke ich, schon gesellschaftliche Anerkennung finden – zumindest inoffiziell.

Wie es ist, funktioniert es aber schlecht, ziemlich unabhängig davon, was in diesen Positionspapieren drin steht, sowohl das mit den Frauen, als das mit der Evangelisation.

Einsteiger-Kurs

Ich war bei einem Einsteiger-Kurs für Gemeinde-Neulinge dort gab es:

Aus meiner Sicht haben verschiedene Dinge gefehlt:

Bibelschulen, Missions- anderen Werke, Ratgeber, Seelsorger und dergleichen, kommen in der Bibel nirgendwo vor; es gibt sie aber. An diesem Wildwuchs sieht man doch, dass die Gemeinden Bedürfnissen nicht nachkommen. Die Bibelschulen sind dann häufig wieder Kaderschmieden, behandeln wieder Evangelisation und Leiterschaft, die sonderbaren Erläuterungen zu 1. Ko 14, 34, die in der entsprechenden Richtungen genutzt werden, und keine Auslegung zu Vers 35, 1.Tim 5, 14 oder Tit 2, 5: weil man auf den Bibelschulen eben auch nicht sieht, dass Menschen in ihrem Privatleben Fragen haben, die einer Beantwortung bedürften. Und nein, das hat nichts damit zu tun, dass Frauen heute mehr Möglichkeiten haben, selber Studienbibeln zu lesen: Die vielen christlichen Ratgeber zeigen, dass es da sehr wohl Fragen gibt. Und ob man es wahr haben will oder nicht: Es ist bis heute der Normalfall, dass Frauen den Haushalt führen.

Das waren jetzt meine Beobachtungen bei dem einen Kurs, bei Alphakursen und dergleichen wird es nicht viel anders sein, dort wird ja in der Regel auch kein Betakurs angeboten.

Salvatorische Klausel

Ich habe hier eine Menge Punkte aufgeworfen. Zum einen ist keine Gemeinde vollkommen, und wahrscheinlich wird man nicht alle meine Wünschbarkeiten befriedigen können. Sollte in einer Gemeinde eine Konkordanz auf dem Büchertisch liegen, dann beweist das auf der anderen Seite auch nicht, dass die Schwerpunktverschiebung
– vom Hirten zum Gemeindeleiter,
– vom Christenleben zum Sonntags-Christentum und
– von der königlichen Priesterschaft zur Gemeindemitgliedschaft
dort kein Thema ist.

Und ja, es gibt sicher Gründe, dass es so ist. Ja, wahrscheinlich lässt es sich trivial nicht ändern. Ja, wahrscheinlich wäre es auch nicht wesentlich anders gewesen, wenn man ein Bibellexikon zur Ansicht ausgelegt hätte.

Ja, ich kann mir ja Studienmaterial kaufen, wenn ich das will, ich habe auch welches. Ja, ich habe die bestehenden Möglichkeiten nicht genutzt. Ja, ich könnte in die Seelsorge gehen, wenn ich etwas nicht verstehe. Ja, es gibt genug Tage, da habe ich gar nicht in der Bibel gelesen. Ja, ich könnte und sollte viel christlicher sein, als ich es bin. Nein, das sind nicht die anderen schuld, sondern ich. Das verstehe ich.

Und trotzdem ist es eine Verschiebung, die ich so nicht mitmachen will.

Stand: 14.07.2016